Wir sind alle Geschichtenerzähler. Und wir glauben fest an unsere Geschichten. Dem einen dient es, dem anderen versperrt es ein angenehmes Leben. Wieso es sich lohnt, seine eigene Geschichte neu zu schreiben.
Welche Geschichte erzählst Du über Dich? Anderen aber auch Dir selbst. Ich zum Beispiel berichte meinen Freunden gerne, dass ich ein Händchen für Supermarktkassen habe. Egal, zu welcher Uhrzeit ich einkaufen gehe, ich stelle mich IMMER in der Schlange an, die am langsamsten durch den Kassenbereich kriecht. Ich habe offenbar ein defektes Radar für den ersten Tag des Azubis oder die redselige Seniorin, die offenbar weniger wegen ihres Einkaufs gekommen ist, sondern mehr wegen des Kleingelds, das sie der begeisterten Kassiererin aufs Auge drücken will. Oder, auch so ein Liebling meiner Supermarkt-Erlebnisse: Sobald ich an der Reihe bin (nach minutenlangem Anstehen) ertönt die Durchsage: „Liebe Kunden, wir öffnen Kasse 2 für Sie.“ Ja, aber nicht für mich!
Ausnahmen bestätigen die Regel – und werden gestrichen
Früher hat mich das richtig sauer gemacht, inzwischen kann ich sehr über mich schmunzeln, doch worauf ich hinaus will: Das ist meine subjektive Supermarkt-Lebenswirklichkeit. Ob die Geschichte vom glücklosen Einkäufer tatsächlich stimmt oder nicht, kann ich nicht belegen. Für Feldstudien fehlt mir sowohl die Muße als auch das wissenschaftliche Know-how. Nichtsdestotrotz erzähle ich mir und jedem, den es interessiert (und auch nicht interessiert), diese Geschichte. Die Realität kann ich ohne diesen Filter gar nicht mehr wahrnehmen. Jedes Mal, wenn ich wieder (vermeintlich) länger stehe als die Glückspilze, die zwei Minuten später an Kasse 2 auftauchen, bestätigt sich meine Geschichte. Wenn ich wider Erwarten einfach mal an einer leeren Kasse durchspaziere, führt das allerdings nicht dazu, dass ich meine Geschichte aufgebe. Erstens, weil ich es gar nicht zur Kenntnis nehme. Zweitens, sofern ich es doch zur Kenntnis nehme, handelt es sich offenbar um eine einmalige Ausnahme, die die Gesamtbilanz Supermarkt vs. Michael nur leicht zu meinen Gunsten aufhübscht. Solche unwillkommenen Ausnahmen streicht mein Gehirn folglich konsequent aus dem Speicher – sie passen einfach nicht in meine tolle Geschichte.
Selektive Wahrnehmung kann Lebensfreude beeinträchtigen
Nun ist mein Supermarkt-Erleben wahrlich keine Tragödie – außer dass ich früher mitunter wenig entspannt vom Einkaufen nach Hause kam. Doch stell Dir vor, das gleiche Prinzip der selektiven Wahrnehmung verdichtet sich zu einer Story, die Deiner Lebensfreude erheblich schadet. Nehmen wir an, jemand erzählt sich und anderen, was für ein geborener Versager er ist: Alles, wirklich alles, was er anfasst, geht schief. Das verpatzte Schultheater-Stück, der teure Elektro-Schaden beim Bohren in der WG, die misslungene Präsentation, die den Investor vergraulte, das frühe Scheitern bei einem Wettkampf, die Unattraktivität beim anderen Geschlecht. Und das sei nur die Spitze des Eisbergs, versichert uns der selbsternannte Loser.
Wir Menschen erzählen gerne konsistente (Problem-)Geschichten. Das heißt, wir streichen alle Details, Episoden und Informationen, die dem Grundtenor der Geschichte im Wege stünden, einfach aus unserem Bewusstsein. All die erfolgreichen Theater-Auftritte, die erfolgreich an die Wand gebohrten Bilder, die gelungenen Präsentationen, die Investoren an Bord zogen, die Disziplin und das harte Training vor dem Wettkampf, die vielen liebevollen Begegnungen mit einem Partner – all das passt nicht ins eigene Bild. Und je weniger wir anderen und uns selbst davon erzählen, desto tiefer rutscht es in die Untiefen des Unterbewusstseins, bis es kaum noch auffindbar ist.
„Der Aufstand meines unterdrückten Wissens kann beginnen.“
Der Psychotherapeut und Psychologe András Wienands schlägt in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Choreografien der Seele“ vor, zunächst die in einem Familienverbund herrschenden Begrifflichkeiten zu dekonstruieren: Was bedeutet der Begriff des Verlierers in meiner Familie? Wer hat die Bedeutung festgelegt? Habe ich diese Geschichte entwickelt oder wurden sie durch ein soziokulturelles Umfeld erzeugt oder gar beides? „Wenn ich anfangen will, gegen meine Geschichte aufzubegehren, dann muss ich beginnen, all die feststehenden Begrifflichkeiten, Erzählverläufe und Redewendungen in Frage zu stellen“, schreibt Wienands. So werde es möglich, sich für neue Worte zu öffnen. Die Geschichte verändere sich, vielleicht erst minimal, dann etwas stärker. „All die vergessenen, verdrängten, nicht zur Problemgeschichte passenden Informationen können so wieder ans Licht kommen: Der Aufstand meines unterdrückten Wissens kann beginnen.“
Mit einem veränderten Blick auf die eigene Geschichte, mit einer neuen Erzählweise, mit einem veränderten Glauben an sich selbst lädt der „ewige Verlierer“ nicht nur sich selbst, sondern auch sein Umfeld ein, jene bisher nicht berücksichtigten Erfolge zu würdigen und die vermeintliche Realität aufzuweichen.
Deine Geschichte liegt in Deiner Hand
Ich möchte Dir noch einmal die Frage vom Anfang stellen: Welche Geschichte erzählst Du Dir und anderen über Dich? Was ist, wenn sie gar nicht wahr ist? Wenn Du Deine Lebensgeschichte neu verfassen willst, wenn sie einen anderen Titel erhalten soll, wenn Du all den Ausnahmen auf die Spur kommen willst, dann dürfte mein Coaching „Biografie und Storytelling“ genau das richtige für dich sein. Ich freue mich auf Dich!